Die folgenden Dehnübungen sprechen sowohl die Muskulatur als auch die umgebenden faszialen Strukturen an. Ziel ist es, Spannungen zu regulieren, die Beweglichkeit zu fördern und Schmerzen vorzubeugen.“
 
Teil 1 Klassische statische Dehnübungen
(z. B. Haltepositionen für 30–60 Sekunden)
• wirken vor allem auf Muskelfasern und Sehnenansätze.
• verbessern die muskuläre Flexibilität und Längenanpassung.
Teil 2 Faszienorientierte Dehnübungen
(z. B. mit federnden Bewegungen, spiraligen Rotationen oder myofaszialem Zug über Ketten)
• zielen auf die faszialen Strukturen (Bindegewebshüllen, Muskelumhüllungen, gleitfähige Schichten).
• verbessern die Gleitfähigkeit, Hydration und Spannungsregulation der Faszien.
• benötigen oft mehrdimensionale Bewegungen, lange Dehndauer oder federnde Dynamik.
In der Praxis:
Lang gehaltene Dehnungen (30–90 Sekunden) wirken sowohl auf Muskeln als auch Faszien.
Spiraldrehungen, federnde Impulse oder „Faszien-Stretches“ (z. B. nach Typ Liebscher & Bracht oder dem Faszienkonzept nach Schleip) aktivieren vor allem das fasziale Netzwerk.
Teil 1 Klassische statische Dehnübungen

1. Dehnübungen für die Nacken- und Schulterregion
Verspannungen im Nacken und in der Schulterregion gehören zu den häufigsten Beschwerdebildern – vor allem bei Menschen mit sitzender Tätigkeit oder hoher Stressbelastung. Zielgerichtete Dehnübungen helfen, die Muskulatur zu entspannen, die Durchblutung zu fördern und Haltungsbeschwerden vorzubeugen.
1. Seitliche Nackendehnung
Ausführung:
• Setze dich aufrecht hin oder stehe gerade.
• Neige den Kopf langsam zur Seite, sodass das Ohr in Richtung Schulter sinkt.
• Verstärke die Dehnung ggf. durch sanften Zug mit der Hand auf der Kopfseite.
• Die gegenüberliegende Schulter bewusst nach unten ziehen.
Haltezeit: 30 Sekunden pro Seite.
Tipp: Nicht rotieren – nur seitlich neigen!
2. Nacken-Hinterhauptdehnung (Trapezius, Subokzipitale Muskulatur)
Ausführung:
• Senke das Kinn zur Brust.
• Lege beide Hände auf den Hinterkopf und ziehe den Kopf ganz sanft nach vorn-unten.
• Spüre die Dehnung im oberen Nackenbereich.
Haltezeit: 20–30 Sekunden, locker atmen.
Tipp: Die Schultern bewusst locker lassen.
3. Schulter- und Brustkorbmuskulatur dehnen (Türrahmendehnung)
Ausführung:
• Stelle dich in einen Türrahmen.
• Hebe beide Arme in U-Form (Ellenbogen auf Schulterhöhe) und platziere sie an den Türrahmen.
• Trete mit einem Fuß nach vorn und lehne dich sanft durch den Türrahmen.
• Spüre die Dehnung im Brust- und vorderen Schulterbereich.
Haltezeit: 30–45 Sekunden.
Tipp: Ideal zur Entlastung nach langem Sitzen oder Arbeiten am Schreibtisch.
4. Arm-über-Kopf-Dehnung (Levator scapulae)
Ausführung:
• Fasse mit der rechten Hand über den Kopf zum linken Hinterkopf.
• Drehe den Kopf leicht zur rechten Achsel und ziehe ihn sanft diagonal nach vorn-unten.
• Die linke Schulter bleibt bewusst unten.
Haltezeit: 30 Sekunden, dann Seite wechseln.
Tipp: Diese Übung ist besonders effektiv bei Spannungskopfschmerzen oder Schreibtisch-Nacken.
Wann und wie oft?
Empfehlung: Täglich oder bei Bedarf, besonders nach langer Bildschirmarbeit.
Dauer: Jede Übung 1–2 Durchgänge à 30 Sekunden.
Atemführung: Ruhig und gleichmäßig – Atmung unterstützt die Entspannung.


2. Dehnübungen für den Iliopsoas-Muskel (Hüftbeuger)

Der Iliopsoas-Muskel ist einer der wichtigsten Hüftbeuger unseres Körpers. Eine Verkürzung dieses Muskels kann zu Rückenschmerzen, einer eingeschränkten Hüftbeweglichkeit und einem Beckenschiefstand führen. Regelmäßiges Dehnen hilft, die Flexibilität zu verbessern, die Körperhaltung zu optimieren und Beschwerden vorzubeugen.
1. Kniende Hüftbeugerdehnung
Ausführung:
• Beginne im Halbknien: Ein Knie ist am Boden, das andere Bein ist vorn mit 90° gebeugt.
• Spanne das Gesäß auf der Seite des hinteren Beins an.
• Verlagere das Becken langsam nach vorn, bis du eine Dehnung in der vorderen Hüfte spürst.
• Achte darauf, den Oberkörper aufrecht zu halten.
• Halte die Position für 30–60 Sekunden, Seite wechseln.
Tipp: Lege ein Kissen unter das hintere Knie für mehr Komfort.
2. Psoas-Dehnung im Liegen
Ausführung:
• Lege dich rücklings auf eine Liege oder ein Bett.
• Ziehe ein Knie zur Brust, während das andere Bein über die Kante locker nach unten hängt.
• Du solltest eine Dehnung in der Leiste des hängenden Beins spüren.
• Halte die Position für 30–60 Sekunden, dann wechsle die Seite.
Tipp: Achte darauf, dass dein unterer Rücken nicht ins Hohlkreuz fällt.
3. Dehnung mit Rotation
Ausführung:
• Gehe in die Lunge-Position (wie Übung 1).
• Lege die gegenüberliegende Hand auf das vordere Knie.
• Drehe den Oberkörper sanft in Richtung des vorderen Beins.
• Diese Variante aktiviert zusätzlich die Faszienlinie des Psoas und verbessert die Beweglichkeit der Wirbelsäule.
Halte für 30 Sekunden und atme tief ein und aus.
Wann und wie oft?
Empfehlung: 2–3 Mal pro Woche oder täglich bei Beschwerden.
Intensität: Keine Schmerzen – nur ein sanftes Ziehen sollte spürbar sein.
3. Dehnübungen für den Quadratus lumborum (QL-Muskel)
Der Quadratus lumborum ist ein tiefer Rückenmuskul, der das Becken mit der unteren Rippe verbindet. Er stabilisiert die Lendenwirbelsäule und wird besonders bei einseitiger Belastung oder langem Sitzen oft überbeansprucht. Eine gezielte Dehnung kann Verspannungen lösen und die seitliche Rumpfbeweglichkeit verbessern.
1. Seitliche Rumpfdehnung im Sitzen
Ausführung:
• Setze dich im Schneidersitz oder auf einen Stuhl.
• Hebe einen Arm über den Kopf.
• Beuge dich langsam zur Gegenseite, ohne nach vorn zu kippen.
• Spüre die Dehnung in der Flanke und im unteren Rücken.
• Halte die Position für 30–60 Sekunden, dann Seite wechseln.
Tipp: Halte das Becken fest am Boden bzw. auf dem Stuhl, um die Dehnung zu intensivieren.
2. Dehnung in der Kindhaltung mit Seitbeuge
Ausführung:
• Gehe in die klassische Kindhaltung (Fersen, Knie, Stirn am Boden).
• Strecke beide Arme weit nach vorn.
• Wandere nun mit beiden Händen zur rechten Seite, bis du eine Dehnung in der linken Flanke spürst.
• Halte für 30–45 Sekunden, dann zur anderen Seite wechseln.
Tipp: Halte die Atmung ruhig und tief – so erreichst du die tieferen Muskelschichten effektiver.
3. Stehende Seitbeuge
Ausführung:
• Stelle dich aufrecht hin, Füße hüftbreit.
• Führe beide Arme über den Kopf.
• Neige den Oberkörper langsam zur Seite, ohne die Hüften zu verschieben.
• Spüre die Dehnung entlang der seitlichen Rumpfmuskulatur bis in die Lendenregion.
Haltezeit: 30 Sekunden pro Seite.
Wann und wie oft?
Empfehlung: Täglich oder mindestens 3-mal pro Woche.
Indikation: Besonders sinnvoll bei einseitigen Rückenschmerzen, Blockaden im unteren Rücken oder sitzender Tätigkeit.
Hinweis: Bei akuten Rückenschmerzen oder Bandscheibenvorfällen sollte eine ärztliche Abklärung erfolgen, bevor Dehnübungen durchgeführt werden.
4. Dehnübungen für die ischiocrurale Muskulatur (Hamstrings)
Die ischiocrurale Muskulatur – bestehend aus Biceps femoris, Semitendinosus und Semimembranosus – verläuft von der Sitzbeinregion bis zum Unterschenkel. Verkürzungen in diesem Bereich sind häufig und können die Körperhaltung sowie die Beweglichkeit stark beeinflussen. Regelmäßiges Dehnen fördert Flexibilität, beugt Verletzungen vor und entlastet die Lendenwirbelsäule.
1. Dehnung im Stand (klassische Vorbeuge)
Ausführung:
• Stelle dich aufrecht hin, Füße hüftbreit.
• Beuge dich langsam mit geradem Rücken nach vorn und versuche, die Fingerspitzen Richtung Boden zu bringen.
• Die Knie bleiben möglichst gestreckt, aber nicht überstreckt.
• Spüre die Dehnung in der Oberschenkelrückseite.
Haltezeit: 30–60 Sekunden.
Tipp: Nicht wippen – arbeite mit ruhiger Atmung und Schwerkraft.
2. Dehnung im Sitzen (einbeinig)
Ausführung:
• Setze dich auf den Boden, ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt (Fuß an der Innenseite des gestreckten Beins).
• Beuge dich mit geradem Rücken langsam über das gestreckte Bein.
• Greife nach dem Fuß oder Schienbein.
Haltezeit: 30–60 Sekunden pro Seite.
Tipp: Ziehe die Fußspitze leicht zu dir, um die Dehnung zu intensivieren.
3. Wanddehnung in Rückenlage
Ausführung:
• Lege dich auf den Rücken nahe an eine Wand oder Türrahmen.
• Ein Bein liegt am Boden, das andere wird mit gestrecktem Knie senkrecht an die Wand gestellt.
• Spüre die Dehnung im hinteren Oberschenkel.
Haltezeit: 60 Sekunden pro Seite.
Tipp: Diese Position ist besonders rückenschonend und kontrolliert.
Häufigkeit und Hinweise
Empfehlung: 3–5 Mal pro Woche, ideal nach dem Training oder längerem Sitzen.
Ziel: Verbesserung der Beweglichkeit, Reduktion muskulärer Dysbalancen, Prävention von Schmerzen im unteren Rücken.
Wichtig: Die Dehnung soll deutlich spürbar, aber nicht schmerzhaft sein.
Teil 2 Faszienorientierte Dehnübungen
Faszien lieben Vielfalt, Tiefe und Zeit. Während klassische Dehnübungen gezielt einzelne Muskeln adressieren, spricht die fasziale Dehnung ganze myofasziale Zugbahnen an. Das verbessert nicht nur die Beweglichkeit, sondern unterstützt auch das neuromuskuläre Gleichgewicht und die Schmerzregulation.“
Faszien – das körperweite Bindegewebsnetz – spielen eine zentrale Rolle in der Beweglichkeit, Kraftübertragung und Schmerzregulation. Im Unterschied zur klassischen Muskeldehnung zielen fasziale Dehnübungen auf die gesamte Muskel-Faszien-Kette, nutzen spiralige Bewegungen, tiefe Atmung und teils längere Dehndauer. Hier ausgewählte Übungen für die vier oben beschriebenen Bereiche:
1. Nacken & Schulter – Spiraldrehung im Sitzen
Ausführung:
• Setze dich aufrecht auf einen Stuhl.
• Drehe den Oberkörper langsam zur Seite, eine Hand greift außen ans gegenüberliegende Knie.
• Ziehe mit der anderen Hand den Hinterkopf leicht diagonal nach vorn-unten (Richtung Achsel).
• Halte diese Spiralposition für 60 Sekunden, dann wechseln.
Tipp: Tiefe Zwerchfellatmung verstärkt die fasziale Dehnung.
Effekt: Dehnt die posteriore und seitliche Halsfaszie, löst Spannungen im Trapezius- und Skalenusbereich.

2. Iliopsoas (Hüftbeuger) – Faszien-Dehnung mit Kettenaktivierung
Ausführung:
• Gehe in die Halbknie-Position (ein Bein vorn, eines kniet am Boden).
• Hebe den gleichseitigen Arm (zur hinteren Beinseite) nach oben.
• Leite eine sanfte Spiralbewegung des Oberkörpers zur Seite ein (in Richtung des vorderen Beins).
• Strecke gleichzeitig die Fingerspitzen nach oben und hinten – wie ein „Wachsen“ in die Diagonale.
Halte die Dehnung für 60–90 Sekunden mit tiefer Atmung.
Effekt: Integration der anterioren myofaszialen Kette – von Hüftbeuger bis Armfaszien.

3. Quadratus lumborum – Faszien-Dehnung über Lateralflexion & Rotation
Ausführung:
• Stehe aufrecht, Füße schulterbreit.
• Hebe einen Arm über den Kopf und beuge dich zur Gegenseite.
• Drehe dich dann zusätzlich leicht nach vorne, sodass der Blick Richtung Boden geht.
• Verlängere die freie Hand diagonal nach unten.
Halte 45–60 Sekunden, atme tief in die gedehnte Flanke.
Tipp: Alternativ im Kniestand mit gleichem Bewegungsmuster ausführen.
Effekt: Dehnt die seitliche Rückenfaszie, aktiviert diagonale Faszienverläufe.
4. Ischiocrurale Muskulatur – Dynamischer Faszien-Stretch im Stand
Ausführung:
• Stehe aufrecht, beuge dich mit geradem Rücken leicht nach vorn.
• Beuge und strecke die Knie abwechselnd rhythmisch – wie ein langsames „Federn“.
• Optional: Kreise mit dem Becken minimal in kleinen Bewegungen.
• Gesamtdauer: 1–2 Minuten, fließende Bewegung, kein Wippen.
Tipp: Unterstützt durch gleichmäßige, tiefe Atmung.
Effekt: Mobilisiert die dorsale Faszienkette (Plantarfaszie – ischiocrural – Rückenfaszie).